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Dem Licht Leben eingehaucht

 


Großartig: "Der Untergang des Hauses Usher" im Schlosstheater Potsdam


2009 » 10. November » Berliner Zeitung Feuilleton
Martin Wilkening


Was könnte im Schlosstheater Potsdam, wo man Sänger und Orchester wie in einer Puppenbühne direkt vor der Nase hat, schöner sein, als sich an den empfindsamen Seelenergießungen einer frühklassischen Oper zu erfreuen? Die Antwort lautet nach diesem Abend: Sich von den ironischen Brechungen des Edelschauerkitsches, in welchem Philip Glass 1988 den "Untergang des Hauses Usher" von Edgar Allen Poe angerichtet hat, die Nackenhaare sträuben zu lassen. Der Stoff, dem auch Claude Debussy in zehnjährigem Scheitern verfallen war, bot Glass inmitten seiner stattlichen Reihe von Bühnenwerken nicht nur das Futter für seinen soundsovielten Zusammenschnitt austauschbarer Dreiklangsmuster, sondern gab auch Anlass zu allerlei Schauerklängen, die besonders wirkungsvoll zur fassadenhaften Drei- klangseinfalt kontrastieren.
Hochstilisierter Horror
Die psychologischen Strategien, mit denen Glass' Musik das Hören in der Mechanik repetitiver Muster ebenso konditioniert wie durch minimale Veränderungen aufschreckt, liegen hier fast selbstreflexiv offen. Die sentimentalen Wendungen, mit deren Überblendungen er die ab- straktere frühe minimal music zur coolen Variante eines kulinarischen Musiktheaters umschmiedete, werden hier besonders effektvoll als Erzählfiguren eingesetzt. Der Abgrund, der im Trivialen lauert, öffnet sich fast wie bei Offenbach.
Schon das dumpfe Klopfen, das Williams Ankunft im verwunschenen Haus seines Jugendfreundes Roderick und dessen Schwester ankündigt, vervielfältigt sich im Orchester zu einer Geste des Schreckens, die das süße Seelenweben einer wiederbeschworenen Freundschaft zerstört. Gar nicht satthören kann und soll man sich nach dem Willen des Komponisten an jener an sich banalen Ausweichung vom Dreiklangsgewaber in die kleine Sexte, die später, nach dem Tod Madelines, die Musik immer wieder in einem Bild der Erstarrung festhält. Luftzüge im finsteren Gemäuer, das, wie der Hausherr später wähnt, "ganz aus Grabsteinen" gebaut ist, wehen als Hauch einer Klarinettenfigur durch die brüchige Klangtapete hindurch. Und die Geräusche aus dem Grab der noch lebendigen Madeline kontrapunktieren im Schlagzeug als hochstilisierter Horror die Erinnerung an die Jugendspiele der beiden Freunde.
Natürlich lässt Glass das Musikalische an Poes Erzählung auch auf einer mehr äußerlichen Ebene nicht aus. Wenn William als Gastgeschenk eine Spieldose überreicht, verwandelt sich das Klanggeschehen gänzlich zum niedlich abgespulten Uhrwerksklang, für den beschenkten Roderick ein Moment des Entsetzens, da die sich umarmenden Figuren auf dem Deckel unheilvolle Erinnerungen wecken. Und schließlich, beim Einsturz des Hauses, verlässt die Musik zum einzigen Mal ebenso die Illusion festgehaltener Zeit wie edler harmonischer Einfalt, bringt Philip Glass auf verblüffend trickreiche Weise sein eigenes Idiom ins Wanken.
Die hinterhältige Simplizität der Musik verlangt von den Musikern eine ganz eigene Virtuosität, um das Schlichteste mit äußerster Präzision darzustellen. Schwierig auch die Gratwanderung zwischen Expressivität und objektiver Vorstellung der sich übereinander schichtenden Formeln. In beiderlei Hinsicht war es ein großartiger Abend.
Unheimliche Untote
Unter Michael Sanderlings Leitung spielte die Kammerakademie Potsdam nicht nur mit hinreißendem Schwung und glasklarer Genauigkeit, sondern auch mit einer Feinheit des Ausdrucks, die in dieser Trümmerhalde musikalischer Figuren die einzelnen Bruchstücke als unheimliche Untote der Musikgeschichte wieder zum Sprechen brachte. Eine vergleichbar vielschichtige Darstellung gelang den Sängern dieser Produktion nicht - kann vielleicht auch gar nicht gelingen, weil der Widerspruch zwischen Verkörperung einer Rolle und konstruktiver Abstraktion der Partie bei Glass einfach offen klafft.
Die Inszenierung Achim Freyers setzte auch genau hier an, mit einer Verdoppelung der Rollen in Pantomimen und Sängern, die auf der gänzlich schwarzen Bühne und schwarz gewandet zumeist nur als weiße singende Köpfe, wie einst Orpheus' Haupt auf den Wellen, in Erscheinung traten. Auf sehr entspannte, aber gleichwohl präzise Art spielt Freyer hier noch einmal mit all den Elementen seiner jahrzehntelangen Musiktheaterpraxis, haucht dem Licht Leben ein, lässt Hände sprechen, zaubert mit einer minimalistischen Dingwelt. Er ist ein Opernregisseur, dessen Werk wirklich aus der Liebe zur Musik entspringt, sie leuchten lässt, mal rätselhaft, mal klar. Und sie dankt es ihm an diesem Abend reichlich.

 

 

Reise ans Ende der Nacht

Frankfurter Rundschau, Jürgen Otten
 

Beim ersten Mal klingt das Geräusch wie von ferne an unsere Ohren. Pling! macht es, und kaum können die Augen sich in dieser Düsternis zurechtfinden, um den Gegenstand, seine Herkunft und sein Ziel zu verorten. Wenig später das Gleiche noch einmal: Pling! Und nun wissen wir es. Da fällt, von Zeit zur Zeit, aus dem Schnürboden etwas herab, in einen Metalleimer, der wie zufällig dorthin gestellt anmutet.

Doch der Eimer hat einen Sinn. Er definiert die Tiefe, in der sich die Protagonisten befinden. Die Bühne ist der Grund eines Brunnens, von dem nur ein Mann wie Thomas Manns Joseph zurückgelangt ans Licht der Welt. Nicht aber einer wie Roderick Usher, der die Finsternis als sein Lebenselixier erwählt und das Stammhaus derer von Usher in eine Werkstatt der nekrophil-mystischen Depression verwandelt hat.
Achim Freyer, der in den achtziger Jahren mit seiner Inszenierung der Philip-Glass-Trilogie ("Satyagraha", "Echnaton", "Einstein on the Beach") in Stuttgart eine gewichtige Arbeit vorlegte, findet auch für Glass´ Poe-Vertonung "The Fall of the House of Usher" im Schlosstheater Potsdam jene Chiffren, die das Schauderhafte der Vorlage triftig in szenische Realität übersetzen. Wie geschaffen scheint die Oper, in der kaum etwas geschieht (und wo das, was geschieht, stets im Zweifel steht, ob es womöglich nur geträumt ist) für seine semantisch aufgeladene Zeichensprache.
Mit spartanischen Mitteln



Das Stück
Schlosstheater Potsdam: 15. November.
Die Mittel, die Freyer einsetzt, sind spartanisch. Der vordere Teil der Bühne ist mit vier hell leuchtenden Neonröhren ausgelegt, die passend zu jeder Szene eine Art Spielraumabgrenzung bilden; wo nötig, auch mal ein Kreuz. All das ist angedeutet, vielsagend. Inmitten dieses Feldes agieren die Sänger und ihre "Begleiter". Freyer hat allen Protagonisten einen Darsteller hinzugefügt, so dass die Figuren gedoppelt sind (wobei Rodericks "Begleiter" eine Frau ist: Claudia Lahmann). Einzig Rodericks Schwester Madeline ist solo. Noch während sie lebt, schreitet sie wie eine Hohepriesterin über die Bühne, in extrem hohen Lagen durch die Dinge hindurch schwebend - was Sopranistin Esther Lee mit vokaler Luzidität ausführt.

Ihr Bruder hingegen ist als Körper nicht anwesend. Nur sein Kopf lugt aus einem Ausschnitt jenes Vorgangs hervor, der den hinteren Teil der Bühne rahmt. Roderick, das ist nur eine Stimme, die so klingt, als sei sie ein Einflüsterung für diejenigen, die noch Hoffnung haben in diesem Leben. Freyer gelingt hier mit minimalstem Aufwand ein schönes Bild. Denn so, wie er Roderick zeigt, ist schon der Hausherr in Poes gothic novel: "Er litt an einer krankhaften Verschärfung aller seiner Sinne". Durch die Fokussierung auf die Stimme und das schwarzumränderte Gesicht des Tenors Meik Schwalm entsteht exakt diese Aura der Kristallisation.
Ein Schauer durch das Denken

Und der überspannten Einsamkeit. Denn auch die Tatsache, dass es sich sowohl bei Poe als auch bei Glass um solipsistische Existenzen handelt, verdeutlicht Freyers messerscharf choreographierte Arbeit, indem sie motorische Prozesse zeigt, die fast autistisch, zumindest aber redundant anmuten. Roderick und William etwa sehen einander nicht einmal, weil Matteo de Monti als William vorne an der Rampe postiert ist. Auch von ihm sieht man nur den Kopf, hört seinen viril intonierenden Bariton. Die (sprachlosen) Aktionen, die führt ein anderer für ihn aus. Das ist die vielleicht bemerkenswerteste Darstellung des Abends, weil sie über Klänge und sogar über Raum und Zeit hinausweist auf das Dilemma der Todesangst: Wie Henryk Antoni Opiela die Reise ans Ende der Nacht vermittels seiner Bewegungen beglaubigt; wie er die Verzweiflung des Gastes so quälend zum Ausdruck bringt, das lässt einem Schauer über den Rücken und durch das Denken laufen.

Musikalisch bleibt der Abend im Ordnungsgemäßen. Michael Sanderling dirigiert das sparsam besetzte Ensemble der Kammerakademie Potsdam mehr mit sachlicher Zurückhaltung denn mit flammend-expressivem Gestus. Das Perpetuierende der Musik, ohnehin in dieser Oper stärker aufgebrochen als in anderen Werken des amerikanischen Komponisten, erscheint dadurch moderat, beinahe brav.
 

 

Horrorgeschichten und königliches Plaisir

Die "Potsdamer Winteroper" bietet spannende Aufführungen im Theater des Neuen Palais.

Tagesspiegel, 07.11.2009, Carsten Niemann

Schwarze Wolken ziehen wie riesige Fledermäuse am fahlen Mond vorbei, kalte Regengüsse peitschen den mächtigen Bau des Neuen Palais: Das Wetter spielt mit bei dem Werk, mit dem die Potsdamer Winteroper gestern die 5. Saison im Schlosstheater Sanssouci eröffnete: Schließlich beruht die unheimliche Handlung von Philip Glass’ Oper „Der Untergang des Hauses Usher“ auf einer Novelle von Edgar Allen Poe – der als Begründer der Horrorgeschichte und der modernen Krimiliteratur gilt.

Die 1987 entstandene Opernfassung erzählt von einem Mann namens William, der auf den Adelssitz seines erkrankten alten Jugendfreundes Roderick Usher gerufen wird. Die schauerlichen Vorkommnisse, deren Zeuge William im Hause Usher wird, lassen der Phantasie bis heute Raum: Warum hat Roderick seine eigene Zwillingsschwester lebend begraben? Und welche Macht ist es, die den Schlossherren am Ende vernichtet?

Um die Zuschauer bei der Beantwortung dieser Fragen zu unterstützen, ist kein Geringerer als der Künstler Achim Freyer nach Potsdam gereist – und das, obwohl er mitten in seiner Produktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ in Los Angeles steckt. Doch dem Hilferuf der ebenso künstlerisch ambitionierten wie finanziell notorisch klammen Winteroper konnte er sich nicht verschließen: „Ich habe sehr viel Sympathie für diese Operngruppe, die ich schon mehrmals in Potsdam gehört habe, und für das Theaterchen“ erklärt Freyer.

Die Zusage des weltweit gefragten Regisseurs ist ein echtes Geschenk für die Winteroper und ihre Leiterin Frauke Roth. Denn aus den 250 000 Euro, die dem Gemeinschaftsprojekt von Kammerakademie Potsdam, Hans-Otto-Theater und lokalen Kulturveranstaltern für seine diesjährigen zwei Opernprojekte bereit- stehen, wäre ein Regisseur vom Range Freyers nicht zu bezahlen gewesen.

Wobei die Inszenierung selbst ein Muster für gelungene künstlerische Ökonomie ist: Eine schwarze Bühne, die nur von Leuchtstoffröhren in der Hand der Darsteller erleuchtet wird, maskenhaft geschminkte Gesichter von Achim Freyers Schauspielern, welche die Sänger als bewegte Schatten doubeln, sowie ein alter Wassereimer, in den es von Zeit zu Zeit tropft – viel mehr braucht der Regisseur nicht, um eine dichte Atmosphäre des Unheimlichen und des Verfalls zu schaffen.

Der Minimalismus der Ausstattung verbindet sich dabei bestens mit den suggestiven Wiederholungen von Philip Glass’ minimalistischer Musik, die von Michael Sanderling dirigiert wird. Und das ist kein Zufall: schließlich hat Achim Freyer in den 80er-Jahren mit seiner legendären Stuttgarter „Glass-Trilogie“ drei der wichtigsten Musiktheaterwerke des amerikanischen Komponisten uraufgeführt.

Für Glass’ Oper gibt es nur noch Restkarten – doch die Winteroper hat Ende des Monats ein weiteres Musiktheaterwerk zu bieten: „L’Infedeltà delusa“, eine Opernburleske, die Joseph Haydn zur Unterhaltung der Gäste seines Dienstherrn Fürst Esterházy schrieb. Wer gute Opern sehen wolle, müsse nach Schloss Esterházy fahren, urteilte damals sogar Kaiserin Maria Theresia. Die Winteroper hat alles getan, damit dieser Spruch auch für Potsdam gelten kann.

 

 

Wenn Künstler in Gesten erstarren

 

Berliner Morgenpost
Sonntag, 8. November 2009 07:01 - Von Volker Blech 

Dass ein Weltstar wie Placido Domingo andächtig in der ersten Reihe saß, nahm das Publikum im Potsdamer Schlosstheater mit ebenso dezenter Gelassenheit zur Kenntnis. Dennoch wird sich manch einer gefragt haben, was denn den Startenor, der gerade an der Staatsoper Unter den Linden als Bariton reüssierte, in eine kleine und genau genommen unbedeutende Philip-Glass-Aufführung an den Stadtrand treibt.
Die Antwort ist ebenso banal wie bemerkenswert: Mit dem Berliner Regisseur Achim Freyer ist Domingo gerade in Los Angeles durch Wagners "Ring des Nibelungen" verbandelt. Was beweist, wie bezaubernd klein die Musik-Welt ist - zumindest für die ganz Großen.
Klein, beengt und bedrückend ist dagegen die Welt des Roderick Usher. Freyer hat den "Untergang des Hauses Usher" in seiner ganzen Düsternis auf die Potsdamer Bühne gebracht. Genau genommen hat der Regisseur den Gruselstoff von Edgar Allan Poe mit scheuer Geste beiseite geschoben. Freyer teilt seine Zweifel an der Handlung auch unumwunden dem Publikum mit. In den deutschsprachigen Übertiteln werden die originalen Regieanweisungen mit eingeblendet. Nichts ist wie es scheint. Der ganze Abend bleibt die reinste Verwirrung. Das ist die Verführung, die eigentliche Suggestion.
Die Bühne ist schwarz wie die Seele eines Regie-Genies. Freyer inszeniert eine Künstleroper, letztlich wohl sich selbst. Die Inszenierung offenbart die verzweifelte Innenwelt eines Künstlers, die Figuren sind gedoppelt. Überhaupt sind alle Teilhaber und Gefangene eines mysteriösen Ganzen. Der 80-minütige Abend zeigt buchstäblich das Entstehen eines Kunstwerkes (Roderick Usher kreiert seine Schwester Madeline), das im Vergehen seinen Schöpfer mit in den Tod zieht. Es ist ein spröder Stoff in seiner Verknappung geworden, ein Kammerspiel, das kaum mehrheitsfähig im unterhaltungssüchtigen Publikumsgeschmack ist.
Aber darum schert sich Freyer nicht. Seine kleine Fingerübung im Potsdamer Schlosstheater setzt maßgeblich auf die ausdrucksstarken Mitglieder seines Freyer-Ensembles. Zutiefst im Herzen ist der Regisseur Freyer ein Maler, ein Mann der schreienden Oberflächen. Er selbst sagt, Kunst sei wie ein schönes weißes Blatt Papier, das über blutigem Fleisch liege. Freyers Darsteller sind auf der Bühne in gestischen Muster verfangen, sie laufen auf der Stelle, Handstellungen bekommen Wichtigkeit. Grellgeschminkte Gesichter starren (und singen) aus der schwarzen Wand aufs Publikum.
Es ist Michael Sanderling, der mit der Kammerakademie Potsdam die Düsternis auf wundersame Weise aufhellt. Der Dirigent, der erstmals eine Oper leitet, muss irgendwo gehört haben, dass die Oper immer etwas Klangsinnliches zu sein hat. Selbst bei Philip Glass. Und so zerlegt er dessen hart dahintrudelnde minimalistische Sequenzen in beinahe romantische Stimmungsbilder. Das Dutzend Musiker folgt ihm in geradezu solistischer Warmherzigkeit. Ein Klangteppich, der den Zusammenbruch des Hauses Usher erträglicher macht. Das Premierenpublikum sieht es freudig gelassen.
Die Bühne ist schwarz wie die Seele eines Regie-Genies
 

 

„The Fall of the House of Usher“

Die Herausforderung und die Gefahr des Scheiterns - das ist der Reiz am Theater.
Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer über über Theaterräume, Ideensuche, Philip Glass und seine Potsdamer Inszenierung von „The Fall of the House of Usher“

 

Achim Freyer wurde am 30. März 1934 in Berlin geboren. Nachdem er Kunst studierte hatte wurde Bertolt Brecht durch Plakatentwürfe auf Freyer aufmerksam und nahm ihn als Schüler an die Akademie der Künste Berlin. 1972 siedelte Freyer nach West-Berlin über. Nach Arbeiten als Kostüm- und Bühnenbildner begann er Mitte der 70er auch zu inszenieren. Die Tätigkeit brachte ihn an einige der bedeutendsten Theater- und Opernhäuser der Welt. 1988 gründete er das nach ihm benannte "Freyer-Ensemble" mit Schauspielern, Tänzern und Musikern, die in seinen Inszenierungen mitwirken.
 

Kammerakademie Potsdam

Ein Interview mit Achim Freyer zu arrangieren ist keine leichte Angelegenheit. Vor allem wenn der vielbeschäftigte Regisseur in den USA weilt, wo er in Los Angeles gerade Wagners „Ring“ auf die Bühne bringt. Doch schließlich stand die Telefonleitung, einen Monat vor der Premiere seiner Inszenierung von Philip Glass’ Oper „The Fall of the House of Usher“ im Schlosstheater Potsdam, die am 06.11.2009 stattfindet.

Herr Freyer, wie kam es dazu, dass Sie im Schlosstheater Potsdam die Oper von Philip Glass „The Fall of the House of Usher“ inszenieren?
Freyer: Die Kammerakademie Potsdam hatte die kühne Idee, mich zu fragen (lacht). Weil ich in Deutschland als Glass-Spezialist gelte, seit dem ich Glass’ Opern- Trilogie in Stuttgart gemacht habe. Da ich aber gerade den „Ring“ in Los Angeles inszeniere, waren sie eigentlich ohne Hoffnung, dass ich überhaupt darauf eingehe.

Sie haben es dennoch gemacht.
Freyer: Ja, weil ich nach solchen Arbeiten immer süchtig bin. Ich glaube, dass ich mit dem Freyer-Ensemble genau diese Musik und diese Art Theater, die immer wieder mit Entdeckung zu tun hat, gut in Szene setzen kann, mit Experimenten, die man sich an festen Häusern nicht leisten kann.

Und der kleine Raum im Schloss-Theater hat Sie gereizt?
Freyer: Ich habe einmal ganz am Anfang - ohne konzeptionelle Vorarbeit – eine Probe dort gemacht. Da hat sich das Schloss fantastisch angeboten, mit Klappen im Boden mit einem Fenster, das zum Garten rausgeht, wir haben die Madelaine (Figur aus „The Fall of the House of Usher) außen an diesem Fenster vorbeischweben lassen – das wirkte unheimlich. Für mich bot sich dieser Raum unglaublich gut an.

Sie haben vor vielen Jahren in einem Interview gesagt, dass Sie modernes Theater in einem modernen Raum, wie zum Beispiel einer Fabrikhalle, langweilig finden würden.
Freyer: Ja, ich bin sehr gegen Doppelung. Wenn ein Raum schon einen zeitgenössischen, harten, radikalen Charakter hat, dann finde ich es reizvoller, dort ein barockes Stück oder einen Shakespeare zu machen, der dann durch diesen Raum einen ganz neuen, heutigen Aspekt bekommt. Wenn ich dort aber zeitgenössische Stücke realisiere, laufe ich schon offene Türen ein. Da wiederum interessiert es mich mehr, ein traditionelles Haus mit etwas Modernem in eine Sensation zu verwandeln, dass man das Gefühl hat, man spürt das Haus gar nicht mehr, das ist plötzlich wie heute.

Helfen diese Gegensätze auch dem Zuschauer, Ihren Inszenierungen nahe zu kommen?
Freyer: Das glaube ich ganz bestimmt, weil die Entscheidung in einer Fabrik eine aus dem Humanismus gewachsene Theaterarbeit zu realisieren... da ist der Zuschauer ja unglaublich aufmerksam, wie sich irgendwelche Rohre oder Leuchtstoffröhren im Raum verlieren, oder Abrisswände. Das setzt er um in seine Phantasie, meinetwegen in eine Schlossatmosphäre oder die eines bürgerlichen Hauses. Er muss immer mitarbeiten im Theater, das ist glaube ich die große Lust des Zuschauers. Und die will ich nicht bremsen, sondern die will ich erzeugen Ich möchte den Zuschauer nicht zu einem Voyeur machen, der nur in ein fertiges Nest guckt, wo er gar keine Chance hat einzugreifen, weil er von außen sagt: „Naja, das ist ja da ganz schön, und ein Glück, dass ich das nicht bin, was ich da sehe.“ Genau das Gegenteil möchte ich erreichen.

Sie sagten vorhin „Glass-Spezialist“ - was verbindet Sie mit Philip Glass, im künstlerischen Sinne?
Freyer: Zunächst einmal sind wir Zeitgenossen, auch altersmäßig. Und ich denke, dass unsere Erfahrung mit Großstadt, mit Konfrontation des Lärms, der Umweltverschmutzung, der Wiederholungsstrukturen, der wahren Massengesellschaft usw. gleiche Erfahrungen sind. Seine Musik ist für mich eine radikale Änderung des gewohnten Goldenen Schnitts, den man immer wieder in der Musik findet. Er treibt Musik voran, die Zeit geht wie eine Dampfwalze über das Leben hinweg. Und so wie unser Alltag täglich Wiederholung aber trotzdem auch immer wieder neu ist, so ist diese Musik aufgebaut. Sie entspricht im Aufbau nicht dem klassischen Bild von Theater, das auf einen Höhepunkt zuläuft. Das macht die Arbeit auch sehr schwer, weil man in dieser großen Linie und Fläche von Musik natürlich Ortungen herstellen muss, auf der Bühne.

Was ist dabei Ihr Konzept? Wie schafft man bei einer Oper eine Verbindung, wenn die Musik sehr repetitiv ist, die Handlung aber voranschreitet?
Freyer: Also, das kann ich Ihnen so gar nicht verraten, weil ich damit gerade beschäftigt bin und auch noch suche. Das war in den großen Glass-Opern, die ich in Stuttgart inszeniert habe, meine Hoffnung, dass ich frei bin als Regisseur und Welten erfinden kann, die sich parallel zu der Musik bewegen. Die Musik bleibt dann unberührt davon, sie läuft parallel, ist aber keine Illustration, wird nicht degradiert zur Untermalung, sondern wird freigesetzt, dass sie nicht irgendwelche Handlungen bedienen muss. Das war mein Traum. Aber mit dem Freiheitsgedanken bin ich dann in die größten Zwänge geraten weil natürlich diese Musik haargenau fordert, dass nach 12 Minuten exakt auf der Bühne etwas anderes passieren muss. Die Musik mischt sich ein, sie zwingt mich, sie verführt natürlich auch – den Umgang damit muss ich rauskriegen ,das liegt bei Glass nicht auf der Hand. Es gibt auch keine Regieanweisungen, die das vorgeben.

Glass hat mit „The Fall of the House of Usher“ eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe vertont, er sagt, er will mit seiner Musik die emotionale Welt von Poe vermitteln...
Freyer: Ja, das ist ihm gelungen. Es ist erstaunlich, wie er mit minimalistischen Mitteln fast Gruselmusik herstellen kann. Und wie dazu sehr horrorartige Szenen möglich wären. Aber da bin ich natürlich wieder Regisseur und sage: Das hat die Musik, soll sie auch haben, aber das muss ich nicht nochmal zeigen. Ich versuche halt den Text zu begreifen, diese Geschichte: Was könnte der Sinn dieser dem Williams unbekannten Zwillingsschwester sein, die im Sterben liegt und dann den Bruder mit ins Grab nimmt? Sind das überhaupt reale Vorgänge, ist das ein Traum vom William, ist die ganze Reise ins Schloss nur eine Wahnphantasie des wahnsinnigen William? Oder ist der Freund Roderick, den er besucht, der Wahnsinnige, der gar keine Schwester hat, und so suggestiv über das Phänomen Schwester spricht, dass die Diener und Ärzte die Schwester leibhaftig erleben und sehen?

Sind Sie selbst, einen Monat vor der Premiere Ihrer Inszenierung noch auf der Suche?
Freyer: Natürlich, der Prozess geht auch bis zur Premiere. Dann muss man halt aufgeben und es bleibt vieles offen. Es bleiben Fragen - und Fragen sind das Wichtigste, was im Theater passieren kann. Wenn ich die Antwort wüsste und darstellen würde, dann würde ich das Publikum bevormunden, glaube ich. Ich muss die Möglichkeit schaffen, dass jeder so viel, wie in diesem Stück steckt, auch denken kann. Und damit weiterarbeiten und sich einbeziehen kann.

Nun würde der ein oder andere Zuschauer aber vielleicht denken, dass der Regisseur weiter ist, ein Werk durchschaut hat, dass er auf die Bühne bringt.
Freyer: Also, ein Beispiel: Ich habe mir zuletzt einige Inszenierungen des „Rings“ angesehen. Und bei diesen Aufführungen hatte ich nicht das Gefühl, dass die Regisseure viel über das Stück wissen. Das ist technisch auch fast gar nicht möglich. Weil die meisten großen Theaterregisseure haben den Beruf Theater zu machen, die machen im Jahr zwei, drei Inszenierungen - wie soll man es da schaffen, sich für einen Ring vorzubereiten? Das braucht Jahre.
Da ich mich damit jetzt schon vier Jahre mit dem „Ring“ beschäftige weiß ich ein bisschen was in diesen Stück steckt und steht. Und ich habe natürlich auch das Anliegen über vieles davon zu sprechen, meine Erfahrung einzubringen und zur Diskussion zu stellen. Da geht es aber auch um meine Mitarbeiter, die ich dafür über die Jahre verpflichtet habe, die Anstöße gegeben haben, die ich weiter verarbeitet habe. Das sind große kollektive Prozesse, die so eine Art Theater braucht.

Aber wie ist es mit diesem Wissen bei der Glass-Oper, die Sie aktuell inszenieren?
Freyer: Ich würde sagen, auch nach der Premiere bleiben für mich die Auseinandersetzungen mit den thematischen Fragen. Vor allem, wenn es denn Glass selbst nicht mal klar war, werden die Fragen immer noch wichtiger und größer. Gut, das war jetzt meine Unterstellung – aber ich finde keine Hinweise, über Klärungen bestimmter Vorgänge. Was Schwester und Roderick, was William der Freund, der reist und was die Geschichte am Schluss ist, oder der Drache, der getötet wird... – die Deutungen dafür muss man selbst finden.

Glass gibt Ihnen keinen Hinweis durch die Partitur?
Freyer: Absolut nicht, die Partitur verweigert sich, würde ich sagen. Und das ist ja auch sehr angenehm.

"Concerti - Das Berliner Musikleben" erschienen. www.concerti.de

© Elmar Schwarze, studio 34

 

Märkische Allgemeine

Kunst ist Leben

Mit Achim Freyer inszeniert ein Großer des Welttheaters Philip Glass’ Oper „The Fall of the House of Usher“ für Potsdams Winteroper. Mit dem Regisseur sprach Frank Kallensee.

MAZ: Herr Freyer, in den 80er Jahren haben Sie drei Opern von Philip Glass in Stuttgart inszeniert. Die Musik wurde damals als „tönende Dauerwelle“ verspottet. Glass’ Popularität tat das allerdings keinen Abbruch und mit „Usher“ schließt sich nun für Sie ein Kreis. Was entdecken Sie in dieser Musik?

Achim Freyer: Sich schließende Kreise sind mir unheimlich. Aber was mich an Glass nach wie vor interessiert, ist die Radikalität der Großstadtwelten, die er hörbar macht. Wie kein anderer lässt er das Serielle Klang werden, das unsere Zeit prägt. Im Gegensatz zu Steve Reich oder Terry Riley, die ebenfalls wichtige Minimal Music geschrieben haben, ist Glass weniger meditativ und für meine Begriffe viel näher an der Härte unserer Gegenwart.

 

Aber indem er einmal gefundene Akkorde oder Arpeggien in kreisenden Mustern wieder und wieder variiert, erzeugt er doch auch einen ungeheuren Sog?

Freyer: Es ist eher ein Rausch. Wie bei einer Zug- oder Autofahrt. Es rauschen immer wieder dieselben Töne vorbei. Glass’ Musik ist bereit, Untermalung zu sein.

 

Dramaturgisch ist sie freilich auch arg sparsam.

Freyer: Er ist halt Minimalist, er braucht nicht viel. Zugegeben, das macht es für mich als Regisseur, der das Publikum szenisch gewinnen muss, nicht einfach.

 

In diesem Fall haben Sie dafür 80 Minuten ...

Freyer: Schon Edgar Allen Poes Erzählung ist für eine Bühnenhandlung kaum ergiebig. Und in der Opernfassung ist in das Ende dieser Erzählung noch eine weitere Erzählung gewoben, die uns wissen lässt, dass sich die beiden Männer William und Roderick von einer Tatsache ablenken, die sie bedrückt, die sie nicht sehen wollen. Das ist durchaus dramatisch, aber leider nicht zu illustrieren. Ich kann nicht plötzlich irgendeinem Drachen den Kopf abhauen, wenn ich im Haus Usher bin.

 

Was ist denn dann darstellbar? In Poes Erzählung wird die Finsternis immer finsterer, das Grauen immer grauenhafter.

Freyer: Glass’ Musik ist Stimmungsmalerei. Er will keine Handlung, kein Psychologisieren, keine Spannung durch die Begegnung von Menschen. Die Sprache ist fragmentarisch, es fehlen geschlossene Gedankenbögen, es bleibt bei Episoden. Doch die zunehmende Dunkelheit, den zunehmenden Horror vermag er musikalisch auszudrücken. Ich will das nicht kontern oder wegnehmen, werde es aber auch nicht extra betonen. Ich versuche, die Geschichte lesbar zu machen.

 

Ihr Haus Usher ist eine abstrakte Dunkelkammer, erhellt nur durch Leuchtstoffröhren in den Händen der Akteure. Was ist das für ein Raum?

Freyer: Es ist ein urtheatralischer Grundraum. Er ist so breit wie er tief und hoch ist. An drei Seiten hängen schwarze Faltenvorhänge. Falten sorgen immer für eine gewisse Aufregung, Vorhänge haben immer etwas Verbergendes. Ein Vorhang versteckt etwas – und wir verstecken nun Dinge, die nie zum Vorschein kommen werden.

Stärker als bei Poe rückt die Oper die Geschwisterliebe der Zwillinge Roderick und Madeline ins Zentrum. Ist sie wirklich inzestuös? Oder ist sie „nur“ ein Albtraum des Erzählers William?

Freyer: Albträume sind das Leben selbst. Sie sind genauso schmerzhaft, auch wenn sie nur im Bewusstsein des Menschen passieren. Im Übrigen ist die Realität, die wir als solche annehmen, auch ein Albtraum. Wir alle haben Dimensionen in uns, die wir nicht leben können. Darum machen wir ja Fasching und Karneval, um wenigstens an einem Tag im Jahr – mehr oder minder verunglückt – darüber zu reden. Ich inszeniere derzeit in Los Angeles Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Wer da nun die Liebe des Zwillingspaars Siegmund und Sieglinde auf einen Inzest reduziert, denkt fahrlässig kurz. Das sind keine Männeken von der Straße! Es sind Figuren der Bühne, die auch eine Sprache der Bühne sprechen. Eine, die wir nicht sprechen können, weil sie eine verdichtete ist. Deshalb funktioniert es auch nicht, die großen Werke der Opernliteratur in Alltagskleidung auf das Podium zu stemmen und sie auf wohlfeile Erklärungen des heutigen Menschen herunterzubrechen. Das ist ein lächerlicher Irrtum unseres Theaters.

 

Patrice Chéreaus Bayreuther Jahrhundert-„Ring“ von 1976 – ein Irrtum?

Freyer: Das war eine Provokation, die auch Spaß gemacht hat. Aber nur einmal. Die Trostlosigkeit verantworten doch Epigonen, die derlei seit Jahrzehnten kopieren! Doch zurück zum Thema: Siegmund und Sieglinde sind noch keine Menschen, sie sind gewissermaßen die Kinder eines Gottes und einer Wölfin. Der erste Mensch ist ihr Sohn Siegfried. Siegmund und Sieglinde sind so etwas wie der erste Menschen-Versuch, den Zeus sofort in zwei Hälften gespalten hat. In eine weibliche und eine männliche, jede für sich unvollkommen, auf der Suche nach der jeweils anderen und damit nach dem eigenen Ich. Die Spaltung verlangt nämlich nach der Zusammenführung. Zum Beispiel im Zustand höchster Liebe. Im Haus Usher geschieht nun ganz Ähnliches. Allerdings ist es komplizierter, weil Madeline keine leibhaftige Schwester ist.

 

Sie ist bloß eine Idee?

Freyer: Der Musiker, Dichter und Philosoph Roderick ist eine Art Pygmalion, der die Einsamkeit genießt, sie vor allem aber braucht, um nach der Idealfigur seiner selbst zu suchen. Madeline ist seine Schöp-

fung – und sein Selbstbildnis ...

 

... und existiert nur, weil über sie gesprochen wird?

Freyer: Für den Arzt und den Diener, die dem lebensuntüchtigen, allzeit gefährdeten Roderick dienen, existiert Madeline tatsächlich nur, weil jeden Tag von ihr gesprochen wird. Genau besehen, sind diese vier Figuren eine einzige Figur. Wobei sich wiederum die Frage stellt, ob es letztlich nicht William ist, der sich in dieser Geschichte spiegelt, die er hier gerade berichtet. Diese Komplexität ist das Schöne an diesem Werk. Es erfüllt, was ich im Theater wichtig finde: Jeder Theaterabend ist das Selbstbildnis des Zuschauers. Wir gucken also mit William in einen Spiegel, in dem wir uns selber sehen.

 

Madeline hat keinen Text, nur Laute und Schreie.

Freyer: Aber sie singt sie nicht als Wehklage oder Glücksjauchzen. Es sind Hohlformen, die mit Stimmungen gefüllt werden. Für Roderick kann das Sehnsucht, Schmerz, Vergessen sein. Es kann der Fehler sein, den er begeht, als er glaubt, seiner Qual des Kunstmachens ein Ende bereiten zu müssen. Deshalb ist er glücklich über Madelines

Tod – und bricht im nächsten Moment zusammen, weil er ohne Madeline nicht sein kann. Sie muss wiederkommen und ihn holen. Denn der Künstler, der keine Kunst machen kann, kann nicht leben.

 

Also noch mal: Wer oder was ist Madeline?

Freyer: Sie ist das, was überlebt.

 

Außer Madeline werden alle handelnden Figuren – Roderick, William, der Arzt und der Diener – gedoppelt: Es gibt die Sänger vorn im Graben und sich stumm bewegende Schauspieler auf der Rampe. Warum?

Freyer: Jeder Lebende hat einen Schatten. Madeline hat keinen Schatten, weil sie allein Stimme ist. Sie ist der Wind, die Inspiration, die Muse, das Kunstwerk, die Schöpfung.

 

Der gesungene Text wird nicht eins zu eins in Handlungsabläufe auf der Bühne übersetzt?

Freyer: Doch, etwa wenn der Arzt mitteilt: Madeline ist tot. Und wir schauen ja dem Albtraum Williams zu, in dem ihn die Liebesaffäre Rodericks und Madelines peinigt. Aber wie gesagt, es ist eben nicht verbotener Beischlaf, es ist die Vereinigung des Künstlers mit seiner Kunst. Kunst ist Leben.

 

Seit Ihrem Bühnenbild für Ruth Berghaus’ Inszenierung des „Barbiers von Sevilla“ 1968 in der Berliner Staatsoper sind Sie ein Begriff in der Welttheaterszene. Die Produktion ist immer noch im Repertoire, mithin von verblüffender Zeitlosigkeit ...

Freyer: ... das ist ein gutes Stichwort. Ich meine, Theaterarbeit darf, genauso wie jede andere Kunst, zeitlos bleiben. Natürlich erzähle ich meine Zeit, aus meiner Zeit heraus und mit den Mitteln meiner Zeit. Aber der Gedanke ist frei und hängt nicht an der Zeit allein. Vor- und Rückgriffe machen Kunst zur Kunst. Was wäre denn unsere Kunst ohne die Antike? Ich verabscheue die Konvention, die Tradition verehre ich. Konvention bedeutet Anpassung an Geschmack und Mode. Tradition ist hingegen die einzige Möglichkeit, an ein Theaterwerk zu gehen, weil es immer aus der Geschichte kommt, auch wenn es heute geschrieben ist.

 

Dürfen wir dem Haus Usher Unsterblichkeit wünschen?

Freyer: Zeitlosigkeit gerne. Denn konkret bleibt eine Theaterarbeit stets flüchtig. Mit anderen Sängern, Schauspielern, Musikern wird sie anders. Das ist ja das Aufregende.

 

Spielt eigentlich das Schlosstheater mit?

Freyer: Ursprünglich wollte ich das. Da wir aber sofort für Gastspiele gebucht wurden, verlor das den Sinn. Wie soll ich Sanssouci nach Köln bringen?

„The Fall of the House of Usher“ am 6., 7. November, 20 Uhr; 8., 15. November, 18 Uhr. Schlosstheater/Neues Palais, Park Sanssouci, Potsdam. Karten unter 0331/98118.

Regisseur, Bühnenbildner, Maler
Achim Freyer, Jahrgang 1934, arbeitete zunächst als Bühnen- und Kostümbildner mit Regisseuren wie Ruth Berghaus, Adolf Dresen oder Benno Besson. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik 1972 begann er Regie zu führen. Mit Uraufführungen von Opern Mauricio Kagels, Dieter Schnebels, Philip Glass’ oder Helmut Lachenmanns machte er sich international einen Namen. Als bildender Künstler beteiligte er sich an den Kasseler Documenta- Ausgaben 1977 und 1987. Bis 2002 lehrte er an der Universität der Künste in Berlin. Er lebt in Berlin und in der südlichen Toskana.

Philip Glass’ Oper „The Fall of the House of Usher“ von 1988 ist – neben Claude Debussys Fragment – die einzige Bearbeitung der Novelle Edgar Allen Poes für das Musiktheater. Die Hauptpartien sind mit Tenor, Bariton und Sopran besetzt. In Potsdam werden Matteo de Monti, Meik Schwalm, Esther Lee Michael Rapke und Lianghua Gong singen. Michael Sanderling wird am Pult der Kammerakademie Potsdam stehen.

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30.10.2009
 

 

Märkische Allgemeine Zeitung

WINTEROPER: Poe vertont
Philip Glass im Neuen Palais
POTSDAM / SANSSOUCI - Zur fünften Saison der Potsdamer Winteroper werden im November im Schlosstheater im Neuen Palais zwei Opern präsentiert: Für die vom Hans-OttoTheater unterstützte Neuproduktion der Kammeroper „The Fall of the House of Usher“ (Der Untergang des Hauses Usher) von Philip Glass nach Edgar Allan Poe konnte der international bekannte Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer gewonnen werden. Die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Michael Sanderling. In Freyers Schaffen nahm die Inszenierung der Philip-Glass-Trilogie in Stuttgart mit „Satyagraha“ (1981), „Echnaton“ (1984), „Einstein on the Beach“ (1988) einen bedeutenden Platz ein. Der 1937 geborene amerikanische Komponist Philip Glass gehört mit Steve Reich und Michael Nyman zu den populärsten Vertretern der Minimal Music. Seine 1988 uraufgeführte Oper „The Fall of the House of Usher“ ist – neben Claude Debussys gleichnamigem Fragment – die einzige Bearbeitung der berühmten Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe für die Opernbühne.

Wieder aufgenommen wird die Haydn-Oper „L’infedeltà delusa“, die musikalische Leitung hat Andreas Spering, Regie führt Jakob Peters-Messer.

„The Fall of the House of Usher“ Premiere: 6. November, 20 Uhr. Weitere Termine und Karten unter 98 118.
 

 

„Potsdamer Winteroper“ kann stattfinden / Achim Freyer inszeniert im Schlosstheater

 

Potsdam-Kultur


Ein Geschenk

Von Klaus Büstrin (22.05.09)


Die Vorbereitungen für die Premiere haben begonnen. Sie wird zwar erst in gut einem halben Jahr, am 6. November, stattfinden, aber der Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer muss all seine Vorhaben gut organisieren. Wenige Wochen zuvor, Ende September, geht seine Inszenierung von Richard Wagners „Siegfried“ an der Los Angeles Opera erstmals über die Bühne – eine gewaltige Aufgabe. Anschließend kommt der weltweit gefragte Freyer nach Potsdam, um im Rahmen der „Winteroper“ Philipp Glass’ Musiktheaterwerk „Der Untergang des Hauses Usher“, das nach der gleichnamigen Erzählung von Edgar Allan Poe entstand, auf die Bühne des Schlosstheaters im Neuen Palais zu bringen.
Die „Potsdamer Winteroper“ wird also, nachdem ein Aus wegen fehlender Finanzierung fast bevorstand, weiterhin Besucher im touristenarmen Monat November nach Potsdam locken. Zwei Inszenierungen stehen auf dem Programm: die Glass-Oper sowie Joseph Haydns Komische Oper „L’infedelta delusa“ als Übernahme von den diesjährigen Musikfestspielen, die sie auch produziert. Frauke Roth, die Geschäftsführerin der Kammerakademie Potsdam, die neben dem Hans Otto Theater Veranstalterin des November-Opernfestes ist, sagte gegenüber den PNN, dass Achim Freyer natürlich nur aus dem Gesamtetat der Winteroper von 250 000 Euro bezahlt werden könne. Er habe zugestimmt. Die Gagen, die man ihn an den Opernhäusern in Berlin, Salzburg oder in Los Angeles zahlt, wird er in Potsdam nicht bekommen können. Sie ist wohl eher als eine Aufwandsentschädigung anzusehen. „Die Regiearbeit Freyers ist darum ein wunderbares Geschenk für Potsdam“, so Frauke Roth.
Der bekannte Potsdamer Gastronom Maximilian Dreier hat die Verbindungen zu Achim Freyer hergestellt. In der von ihm bis Anfang des Jahres betriebenen Villa Kellermann war auch der Künstler mit seinem bildnerischen Werk zweimal in viel beachteten Ausstellungen zu Gast. Als Frauke Roth bei Freyer anfragte, erbat er sich Bedenkzeit. Aber sie fiel ganz überraschend nur kurz aus. Denn er wollte schon immer etwas im Rokokotheater des Neuen Palais machen, habe er der Kammerakademie-Geschäftsführerin gesagt. Internationale Resonanz erhofft man sich in Potsdam nun mit der Regiearbeit des Künstlers. Seine unorthodoxe Art, mit der er Opern auf die Bühne bringt, ruft immer wieder Diskussionen hervor. Aber dies kann der Kunst nur guttun. Dass ein zeitgenössisches Werk zur Aufführung kommt, ist ebenfalls eine wichtige Bereicherung für das Repertoire innerhalb der „Potsdamer Winteroper“, die bisher nur Werke des 18. und 19. Jahrhunderts spielte.
Mit der Musik des US-amerikanischen Komponisten Philipp Glass wird also nach längerer Zeit wieder eine zeitgenössische Oper im Neuen Palais zu sehen sein. Philipp Glass ist der wichtigste Vertreter der Minimal Music. Er vermeidet dabei fast jegliche Atonalität. Der Regisseur Peter Sellars beschrieb die Musik des Komponisten so: „Bei Phil ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster sehen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich.“
Die Besetzung für „Der Untergang des Hauses Usher“ steht schon fest. Neben dem Freyer-Ensemble, das stets in den Theateraufführungen des Regisseurs präsent ist, sind die Sänger Matteo de Monti, Meik Schwalm und Esther Lee verpflichtet worden. Die Musikalische Leitung hat Michael Sanderling übernommen. Gastspielauftritte sind bereits geplant, unter anderem bei den Musikfesttagen in Frankfurt (Oder) und im Staatstheater Cottbus.
Die „Winteroper“ ist für dieses Jahr wieder gerettet, zugleich gerät sie künstlerisch in Bewegung. Aber auch bei der Kammerakademie stehen Veränderungen an: Dirigent Michael Sanderling wird nach der Saison 2009/10 die Chefposition des Orchesters aufgeben und sich neuen Aufgaben zuwenden. Mit dem Hausorchester des Nikolaisaals wird er jedoch weiterhin künstlerisch verbunden bleiben. Und Co-Chef Andrea Marcon wird künftig nur noch projektbezogen mit der Kammerakademie arbeiten. Somit heißt es für das Orchester, sich umzuschauen nach neuen Dirigenten. Ständige Herausforderungen tun gut.

 

 

„The Fall of the House of Usher“


Musik Achim Freyer wird in Potsdam Philip Glass’ „The Fall of the House of Usher“ inszenieren


POTSDAM - Vergessen wir die gebotene journalistische Distanz und nennen es beim Namen: Es ist eine Sensation! Safeknacker würden von einem Coup sprechen. Aber weil in Banken derzeit nicht richtig was zu holen und die Potsdamer Kammerakademie eine sehr ehrenwerte Konzertvereinigung ist, trifft's das Wort „Sensation“ angemessener. Kurzum: Für ihre seit 2005 zusammen mit dem Hans-Otto-Theater und dem Kult-Brain e. V. veranstaltete „Potsdamer Winteroper“ hat sie in diesem Jahr den Regisseur Achim Freyer verpflichten können.

Der studierte Maler und Grafiker, den Bertolt Brecht einst als Meisterschüler ans Berliner Ensemble geholt hatte, ist einer der großen Alten des Welt-Theaters. Und „alt“ ist hier nicht despektierlich mit „überholt“ oder „von vorgestern“ zu übersetzen, sondern Ausdruck nötigen Respekts. Denn Freyer inszeniert in einer Liga, in der Peter Stein, Claus Peymann, Peter Zadek, Luc Bondy, Peter Brook oder Bob Wilson Mitspieler sind. Gerade hebt er in Los Angeles Wagners „Ring“ auf die Bühne – mit ein-

em 32-Millionen-Dollar-Budget. Die Potsdamer Produktion, die am 6. November im Schlosstheater des Neuen Palais zur Premiere kommt, ist damit verglichen ein Geschenk. Arbeitet er doch für das im Rahmen eines Gesamtetats von 250000 Euro mögliche Honorar. Mit Blick auf die für ihn üblichen Gagen in Berlin, Wien, Salzburg, Venedig, Brüssel, München, Hamburg oder eben jenseits des Atlantiks ist dies also eher eine Aufwandsentschädigung.

Denn die erwähnte Summe muss für zwei Opern reichen. Zum einen für die gemeinsam mit den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci und dem Staatstheater Wiesbaden gestemmte Burleske „L'infedeltà delusa“, mit der Joseph Haydn am Ende des Haydn-Jahres noch einmal applaudiert werden soll, indem Jakob Peters-Messer das Szenische und Andreas Spering das Dirigentische besorgen. Sie wird allerdings schon während der Musikfestspiele im Juni zu sehen sein und mithin „nur“ wiederaufgenommen. Neu hingegen, und zwar in mehrfacher Hinsicht, ist dann jedoch der Zweiakter „The Fall of the House of Usher“. Der Amerikaner Philip Glass hat diese Kurzgeschichte Edgar Allen Poes 1988 vertont, womit nun ein weiterer der großen Alten in Potsdam Einzug hält, in diesem Fall einer der Frontleute der Welt-Musik. Glass, dessen Soundtracks für Martin Scorseses „Kundun“ oder Peter Weirs „Truman Show“ für den Oscar nominiert wurden beziehungsweise einen Golden Globe gewannen, zählt mit Steve Reich und John Adams zu den wichtigsten amerikanischen Komponisten der Gegenwart. Angst vor Dissonanzen muss bei ihm freilich niemand haben. Glass' Minimal Music meidet Atonalität, berückt rhythmisch, variiert einmal gefundene Akkorde oder Arpeggien in kreisenden Mustern, die einen ungeheuren Sog erzeugen. Von seiner 1976 entstandenen Oper „Einstein on The Beach“ dürfte jeder schon gehört haben. Sie ist ein Best- und Longseller.

Als die Kammerakademie Glass vorschlug, konnte Freyer nicht widerstehen. Nicht weniger gelockt habe ihn aber auch das Rokoko des Schlosstheaters. „Hier wollte ich immer mal was machen“, flüstert er, derweil sein Ensemble auf der Bühne probt – oder besser: improvisiert. Fünf Akteure bewegen sich auf der von keiner Kulisse verengten und in Düsterlicht getauchten Bühne. Langsam tragen, drehen, kreuzen, balancieren sie Leuchtstoffröhren, öffnen und schließen mit ihnen imaginäre Räume. Vom Schnürboden fallen in regelmäßigen Abständen Ausstattungsteile, künden vom unaufhaltsamen Untergang des Hauses Usher. Das, was Freyer & Co hier tun, lässt sich als „work in progress“ beschreiben. „Für gründelnde Analysen ist die Frist zu knapp“, sagt er. Schließlich wartet Wagner in Los Angeles. Doch er kennt seinen Glass und die Mimen der von ihm 1988 gegründeten Compagnie kennen ihn. Leise, aber stets bestimmt mischt er sich mit seinen Anweisungen in deren zirzensische Choreografie ein. Auf der Rampe agieren Schauspieler, die Sänger wird er im Graben davor platzieren. Der Sog saugt bereits ...

So sehr, dass die Festtage Frankfurt (Oder) und das Staatstheater Cottbus Freyers

„Usher“-Fassung nach der „Winteroper“ übernehmen wollen. „Und mit mehreren Interessenten sind wir noch im Gespräch“, freut sich Frauke Roth. Für die Geschäftsführerin der Kammerakademie muss das eine glückliche Fügung sein. Denn was sie nicht sagt, aber in den vergangenen Monaten durchsickerte: Nachdem – die Krise ließ grüßen – das Wirtschaftsministerium seine Förderung und Sponsoren ihre Beihilfen storniert hatten, sah alles nach einer „Winteroper“-Notausgabe aus. Die Sache mit Freyer zeigt nun, dass Erfolg nicht immer planbar ist. Manchmal, zugegeben selten, fällt er dem Tüchtigen in den Schoß.

Der entscheidende Tipp kam von Hajo Cornel. Wobei Tipp wohl schon eine Übertreibung ist. Zumindest hielt der im Kultur- und Wissenschaftsministerium für die Kultur zuständige Abteilungsleiter die Anfrage bei Freyer für verrückt genug, um sie die Kammerakademie fragen zu lassen. „Freyer“, ist er überzeugt, „wird das Projekt ,Winteroper’ wieder ein Stück voranbringen. Ästhetisch – und programmatisch, was den Mut zum Zeitgenössischen angeht.“ Sein Ressort gibt jährlich 100000 Euro dazu. Die Stadt Potsdam ist mit 40000 Euro dabei. „Um die Finanzierung künftig zu sichern, hätte ich natürlich nichts dagegen, wenn die Kommune noch ein bisschen drauflegte.“

Das ließe sich gewiss auch Joachim Sedemund vom Trägerverein der Kammerakademie gefallen, würde ihm dadurch doch die „kommerzielle Verantwortung“ etwas erleichtert. „Mir geht es darum, das Niveau der ,Winteroper' stetig zu heben, sie überregional attraktiv zu machen. Für den Ruf Potsdams als Kulturstadt kann das doch nur von Vorteil sein.“ Die Erfahrung, dass mit einem Namen wie Freyer Sponsoren doch wieder zu locken waren, zeigt im Übrigen, dass die Richtung so falsch nicht sein kann.

In der Tat können alle Beteiligten nur profitieren: Die Kammerakademie und das Hans-Otto-Theater als bewährte Ausrichter vorneweg, die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten als Hausherrin des Schlossthe- aters, die Potsdamer Hotels, die auf diese Weise in der „toten Saison“ auswärtige Gäste anlocken können, die Stadt, das Land – denn mit „Winteropern“ der Spitzenqualität lässt sich prima auf sich aufmerksam machen. Vor allem aber hat das Publikum etwas davon.

„The Fall of the House of Usher“ am 6., 7. November, 20 Uhr; 8., 15. November, 18 Uhr. Karten ab sofort unter 0331/2370623. „L’infedeltà delusa“ am 27., 28. November, 19 Uhr; 29. November, 15 Uhr.

Karten ab sofort unter 0331/98118. Schlosstheater/Neues Palais, Park Sanssouci, Potsdam.

(Von Frank Kallensee)

 

 

FREYER-ENSEMBLE bei "EUGEN ONEGIN" an der Lindenoper


EINE BEFREMDLICHE WIE GRANDIOSE REGIE
Das Freyer-Ensemble bringt die theatralische Körperspannung und Präzision in teils zeitlupenhaftes Geschehen ein. Es sind die Füße der Schauspieler, die sich regelmäßig gen Himmel rekeln, aus dem zwischendurch Stühle purzeln.
Volker Blech, Berliner Morgenpost, 29.09.08

Solisten bewegen sich im Zeitlupentempo über die schräge Spielfläche, die Artisten vom „Freyer Ensemble“ umspielen sie
Frederik Hanssen, Tagesspiegel, 29.09.08

Ergänzt wird er durch das gleichsam als pantomimischer Taktgeber für die szenischen Loops fungierende Freyer-Ensemble.
Deutschlandfunk, Georg-Friedrich Kühn, 28.09.08

Der Berliner Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer präsentiert mit seinem interdisziplinären Freyer-Ensemble seine Sicht auf das Werk.
Morgenpost, Vorankündigung, 25.09.8

 

"FR3Y3R3"

Das grandiose Freyer-Ensemble vollführt dazu eine streng stilisierte Zeitlupen-Choreographie. Kleinste Gesten werden in diesem reduktionistischen Kunst- und Aktionsraum zu großen Ereignissen; eine schnelle Bewegung bekommt den Charakter einer erschüttern Katastrophe. Zwischen den Worten und den Aktionen klafft ein spannungsvoller Zwischenraum, in den sich eindringlich die Assoziation einschleicht. Detlef Brandenburg Die deutsche Bühne

Achim Freyer entwirft in seiner Uraufführung „Ab und An - für Morton Feldman“ einen eigenen Kunstkosmos und bleibt nah dran an den Ideen Becketts und Feldmans. Das Stück hat keinen Anfang und kein Ende, es könnte ewig weiter gehen oder auch nur fünf Minuten dauern. In der Bonner Kunsthalle füllt es knapp eine Stunde, während der sich das Freyer-Ensemble mal unmerklich-zeitlupenhaft, mal ruckartig bewegt und immer wieder erstarrt. Stefan Keim, Die Welt, 6.10.2004

 


 

Orchesterstück Gießen, 30. April 2007

 

Zum einen führte das Freyer-Ensemble, gegründet 1992, das fantastisch-poetische „Orchesterstück“ auf, in welchem die Spieler ohne hörbare Musik mit hochvirtuosem, akrobatischen Körpereinsatz bewegende Raumskulpturen vorführten. Die Aufführung beeindruckte durch die eindringlichen Bilder. Tanja Löchel


 

 

„Wenn Du einem toten Hund begegnest oder Die Probe“

Unter dem Titel „Wenn Du einem toten Hund begegnest oder Die Probe“ imaginiert der Maler, Regisseur und Bühnenbildner mit seinem Freyer-Ensemble „mit allen denkbaren Mitteln des Theaters, des Körperspiels, der Musik und der bildhaften Zeichen eine poetisch-musikalische Brecht-Probe“, teilte des Berliner Ensemble mit. Freyers Wortcollage sei dabei durch Brechts Gedankenwelt angeregt, die Form seiner Kunstaktion auch durch Kleists Marionettentheater. Neue Musikzeitung, August 2006

Achim Freyer – Meisterschüler von Bertolt Brecht – lädt ein, Brecht probierend zu träumen, ihn sich neu zusammenzusetzen, aus Zeichen einen eigenen Gedanken zu machen. Ein großes Vergnügen, wenn man Brecht nicht kennt, und ein noch größeres, wenn man ihn kennt. Theaterkanal April, 2007

 

 

„Zauberflöte für 2x10 Finger“

 

 

Sechs Mal hat Achim Freyer bisher Mozarts „Zauberflöte“ auf die Bühne gebracht. Ende 2005 entstand mit seinem Freyer-Ensemble die eigenwilligste und imaginativste Version, die nach der Premiere an der Oper Mannheim und einer Reihe von Gastspielen jetzt auch für einen Abend der Komischen Oper ein volles Haus bescherte. Ausgangspunkt dieser comicartigen Fantasie über die Zauberflöte , in der alles da ist, aber traumhaft fragmentiert, verschoben und verdichtet, ist die vierhändige Klavierbearbeitung der Oper von Alexander von Zemlinsky, von Dennis Russell Davies und Maki Namekawa feinsinnig musiziert. Martin Wilkening, 07.01.2007 Tagesspiegel

Auf diese grobschlächtige Art zeigt Freyer dem Publikum, worum es wirklich geht in dieser Oper: um Vergewaltigungen jeder Art, um tyrannische Willkürakte und scheinheilige Priester.
Die Welt Wibke Gerking. 14.12.2005

Freyers Theater ist bei aller bunten Phantastik innerlich auf der Suche nach einem Ausweg aus einer Gesellschaft, in der das Prinzip des Wettrüstens in alle Lebensbereiche übergegangen ist. Wolfgang Fuhrmann, Berliner Zeitung, Januar 2005

Tamino in der erotischen Welt der Weiblichkeit
Achim Freyer zeigt heute seine vierte Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" in der Komischen Oper
Diese „Zauberflöte für 20 Finger“, mit der heute das Freyer-Ensemble in der Komischen Oper gastiert, liegt provokant zwischen Oper, Schauspiel, Tanz und Zirkus. Es ist die vierte von mittlerweile sechs Inszenierungen, die Achim Freyer von Mozarts „Zauberflöte“ gemacht hat. Volker Blech sprach mit dem Berliner Regisseur.
Berliner Morgenpost: Herr Freyer, was erzählt uns die "Zauberflöte"?

Achim Freyer: Es geht um die Entwicklung des Menschen. Stellvertretend dafür steht Tamino, der das Reich der Weiblichkeiten in allen Facetten der Erotik und Sexualität durchwandert und daraufhin in die Männerwelt gerät, in der er dann alles zu verteufeln versucht. Tamino erfährt, dass es auch der Liebe zum Leben, zur Arbeit, zur Menschheit bedarf. Dieser Weg wird bei Mozart sehr facettenreich beschrieben. Es beginnt damit, dass Tamino und Papageno das von der Königin der Nacht übergebene Geschenk Flöte und Glockenspiel von Sarastro wieder abgenommen wird. Die beiden Instrumente gelten als Symbol für die Kunst und die Liebe, die höhere Dimension des Denkens, das es zu erwerben gilt.
Wie religiös oder wie freimaurerisch ist die Oper?
Ich muss ehrlich gestehen, ich habe mich mit der Freimaurerei nur bei meiner ersten Inszenierung beschäftigt. Es ist ein ganz eigener Kosmos. Und ich habe ihn für meine Sicht auf die Gesellschaft als nicht für wesentlich befunden. Etwa die Figur des schwarzen Monostatos, der bei Mozart für die frauenlose geile Priestergilde stand. Das sind Anspielungen, die mich bisher in noch keiner Fassung beschäftigt haben.
Es braucht Zeit, bis die Jugend zur Weisheit im Alter heranreift. Mozart aber ist jung verstorben. Glauben Sie, dass er über diese Dinge des Lebens wirklich reflektiert hat?
Laotse heißt, sagt man, "der als Greis Geborene". Brecht sagte, dass der Verstand nicht durchs Alter kommt, sondern durch den Kopf. Warum sollten nicht auch Kinder Weisheit besitzen?
In Ihrer Inszenierung, die heute an der Komischen Oper gezeigt wird, kommt ein Ausländer in eine Familie hinein. Alles endet tragisch?
Der erste Akt ist für den Zuschauer die bekannte Mozartsche Exposition, ein Wiedererkennen der "Zauberflöte", das Wohlgefühl der Idylle. Pamina ist eine Puppe, die von allen mehr oder weniger missbraucht wird. Der Abgrund öffnet sich erst allmählich. Am Ende ist die Katastrophe komplett. Das Machtspiel zwischen Mann und Frau ist das Abbild der Großfamilie der Welt, wie bei Mozart. Zwischen Sarastro, dem Halbgott, und der Königin der Nacht gibt es die bekannten existenziellen Machtspiele um Besitz typische Gesellschaftsbilder von heute.
Wie viel Prozent Mozart stecken noch in Ihrer Inszenierung?
Wer weiß denn genau zu sagen, wie Mozart war und wirklich gedacht hat? Ich kann mich ihm nur annähern. Ich weiß nur, dass er mir jede Nacht hilft. Ich kriege sofort ein Aufschrecken, eine Gänsehaut, wenn ich glaube, sein perfektes Denksystem zu verfehlen. Denn es gibt Dinge, die ich nicht verändern darf.
Das Genie Mozart ist in den letzten Jahrzehnten demontiert worden. Es stellt sich die Frage: Woran erkennt man überhaupt ein Genie?
Genie ist Fleiß, ist die Fähigkeit, menschliche, psychische, soziologische Seiten zu erkennen, die archetypisch sind. Ein Genie beherrscht das Gerippe und liefert das Fleisch dazu. Sein Gebilde lebt jenseits des museal Historischen. Es ist immer gegenwärtig. Ob „Entführung aus dem Serail“ oder „Cosi fan tutte“, beide Opern würde ich mich nie trauen zu inszenieren, weil sie so kompliziert, so tiefenpsychologisch sind. Es ist wie bei einigen Shakespeare-Stücken.
Nur geht es bei Mozart nicht ganz so mörderisch zu?
Aber das dargestellte Spiel um Macht und Missbrauch ist typisch in der Menschheitsgeschichte. Die Finessen, die Spiele, Macht zu verschleiern und gleichsam durchzusetzen, laufen immer ähnlich ab. Was es ist, dass die Menschen treibt, ist nur schwer zu sagen. Es ist ähnlich unerklärlich wie seine Fähigkeit zu lieben. Es ist faszinierend, wie der Komponist Mozart diese inneren Zustände spannend ausweitet.
Was glauben Sie: War Mozart ein glücklicher oder ein tragischer Komponist?
Es ist ein Irrtum, dass Mozart ein glücklicher Mensch gewesen sein muss, nur, weil er diese Werke geschaffen hat. Man macht Kunst wohl meist aus Konflikten und Unglück mit der Welt heraus. Es wird gern vergessen, wie schwer der Schöpfungsprozess ist - wie Valentin sagt: "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit". Das ewige Zweifeln und Verändern. Wobei Mozart gar keine Zeit hatte, um seine Opern zu überarbeiten. Zweifeln, heißt es, verdirbt den Charakter. Ich habe also einen verdorbenen Charakter, obwohl mir jede meiner grundverschiedenen sechs Fassungen der "Zauberflöte" bedingungslos gefällt.

 

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